Repression ist Scheisse!

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Über die enreuten Krawalle in den Pariser Vororten
[Autor: diract]
„Brûle, Brûle, Babylone brûle, j'veux t'entendre crier, faut qu'tu hurles!“
(Sniper, französiche Musikgruppe)

Nach den Krawallen in den pariser Vororten im Jahre 2005 schien sich die Situation rund um die Banlieus wieder beruhigt zu haben. Ein kurzer aber unmissverständlicher Aufschrei, kurze mediale und politische Turbulenzen und ein empörtes Bürgerherz. Danach schienen die Krawalle vergessen und die Protestierenden vom Schauplatz der bourgeoisen Öffentlichkeit verschwunden.
Nun, rund zwei Jahre später, lassen die „Banlieu-Kids“ wieder von sich hören: Die Wut und der Hass auf ihre gesellschaftliche und soziale Situation oder besser gesagt der Hass auf diese Gesellschaft an sich ist nicht verschwunden. Im Gegenteil: Ihr Hass und die ihre Wut auf diese Gesellschaft, in der sie nichts anderes sind als Abschaum, der in sozialer Öde vor sich hin vegetiert, manifestiert sich durch die unglaubliche Militanz und die Härte der erneuten Krawalle.

Eine erneute Krawallwelle ist in den pariser Banlieus aufgelodert. Und sie vermag an den Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft zu rütteln wie selten zuvor.
Das Gewicht der Krawalle scheint nicht nur den Protestierenden bewusst zu sein, welche ihre Macht erkennen sobald sie sich zusammenschliessen und kollektiv handeln, sondern umso mehr den bürgerlichen Fraktionen, welche durch den Aufstand ganz schön ins Schwitzen kommen. So gestand der Chef der Polizeigewerkschaft „Synergie“: „Niemals bei einem Jugendkrawall standen wir derart unter Druck.“ Er fügt weiter hinzu: „Die Lage ist viel dramatischer als 2005 in Clichiy-sous-Bois.“ Innerhalb kurzer Zeit haben sich die Krawalle, welche zuerst nur im pariser Vorort Villiers-le-Bel entfachten, auf die fünf Nachbargemeinden Ermont, Cergy, Goussainville, Sarcelles und Garges-les-Gonèsse ausgeweitet und letztendlich sogar auf weitere Städte wie Dijon, Marseille und Rouen.

Die von den Medien befürchtete „Ansteckungsgefahr“ der Krawalle hat sich verwirklicht. Diese „Ansteckungsgefahr“, von der sich alle fürchten, bestätigt einerseits die Tatsache, dass vielmehr Menschen einen Hass auf diese Gesellschaft haben als man denkt und zeigt auf der anderen Seite wie schnell sich spontan ein kollektives Subjekt erheben kann, das vor kurzem noch zu schlummern schien. Die Krawalle in den verschiedenen Städten sind nicht unbedingt homogener Natur, aber sie treten als kollektiver, oftmals solidarischer Akt auf und entspringen dem gleichen gesellschaftlich-sozialen Hintergrund. Was die Krawallmacher allesamt gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie zur Klasse der Lohnabhängigen gehören; genauer gesagt zu den untersten Schichten dieser Klasse.

Sie kriegen nichts vom produzierten Reichtum der Gesellschaft zu sehen und sind auch aller Mittel beraubt selbst über die Produktion dieses Reichtums zu bestimmen und die Früchte ihrer eigenen Arbeit zu ernten. Kurzum verfügen sie weder über Produktionsmittel noch über genügend Geld um in dieser Gesellschaft ein angenehmes und genussvolles Leben zu führen. Dieses gemeinsame Schicksal als Teil einer Klasse, der gemeinsame Frust und Anschiss in dieser Gesellschaft zu leben, kann sich schnell in ein kollektives Bewusstsein umwandeln, das zwar noch nicht revolutionär oder klassenkämpferisch ist, aber als gemeinsame Negation der Verhältnisse verstanden werden kann, in denen sie leben müssen. Aus den einfachen „Banlieu-Kids“, welche in den miesesten Grotten der kapitalistischen Gesellschaft vor sich hin vegetieren, werden plötzlich nahezu spontan und ansatzweise durchaus proletarisierte Massen, welche als destruktiver Akteur auftreten.

Angesichts dieser brenzligen Situation fürs Kapital, findet die Abwehr dieser reellen Gefahr neben der physischen Repression insbesondere auf ideologischer Ebene statt, das heisst vermittels den Medien. Während die Aufständischen in den Vororten über keinerlei ernst zu nehmendes Sprachrohr verfügen um an die breite Öffentlichkeit zu gelangen, bleibt ihnen als einzige Sprache ihre Körpersprache, welche sich durch physische Gewalt manifestiert. Da sie sich (zu Recht) nicht als Teil dieser Gesellschaft verstehen bzw. als den äussersten, verdrängten Rand dieser Gesellschaft, liegt ihnen auch ein konstruktives Mitwirken oder ein konstruktiver Umgang mit derjenigen Gesellschaft, von der sie ausgenutzt und ausgebeutet werden, nicht nahe. Ihr einziges Mittel, ihre einzige Ausdrucksform bleibt die Destruktivität. Dies jedoch nicht weil sie zu wenig integriert wären, sondern weil sie als Teil der lohnabhängigen Klasse notwendigerweise für das Funktionieren des Kapitalismus fortbestehen müssen und daher auch von dem gesellschaftlichen Reichtum und der zu seiner Produktion notwendigen Mittel getrennt bleiben. Dieser Widerspruch, die soziale Armut in denen die Menschen in den Vororten leben müssen während gleichzeitig die Gesellschaft an Überfluss laboriert, ist innerhalb des Kapitalismus nicht lösbar und daher auch nicht ein Resultat von gescheiteter Integration.

Wie schon erwähnt bedient sich das Kapital als Abwehrreaktion neben der physischen Erstickung der Krawalle auch ideologischer Mittel, insbesondere der Kriminalisierung und Verschleierung von Ursache und Wirkung. Der Chef der „Synergie“ spricht von einer „nie gekannten Brutalität“ und bezeichnet die Protestierenden als „eine zu allem bereite Stadtguerilla“ . Es ist schon eine Ironie, wie eine solche Begrifflichkeit die Brutalität in solcher Weise zu relativieren vermag. Auf der einen Seite wird die stille, schleichende und gesellschaftlich-alltägliche Brutalität der Verhältnisse, welche die Menschen in Vororten zusammenrotten lässt, vollkommen verschleiert und ausser Acht gelassen und auf der anderen Seite wird die wahre Brutalität seitens des Kapitals (wie Kriege, Knäste, Ausschaffung, Folter, u.ä.) heuchlerisch verklärt. So meinte Premier Dominique de Villepin: "Die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung hat Priorität. Die Gewalt ist nicht akzeptabel.“ Mit Gewalt meint er nicht Gewalt an sich, sondern die Gewalt seitens der Aufständischen. Diese Haltung zur Gewalt sagt schon einiges über das gesellschaftliche Verhältnis von Gewalt und Kapitalismus aus. Es geht überhaupt gar nicht um Gewalt an sich, sondern um die Legitimation und Delegitimation von Gewalt. Der Staat besitzt als einziger das Gewaltmonopol und somit die Möglichkeit gewaltsam in die Gesellschaft einzugreifen, er hat als einziger die Legitimation Gewalt auszuüben. Jede andere gewaltvolle Intervention in die Gesellschaft, sei es die Aneignung von Reichtum oder Produktionsmitteln oder ein durch Gewalt ausgedrückter Unmut über die gesellschaftlichen Verhältnisse, wird moralisch geächtet und bekämpft. Durch diese „Gute-Gewalt-Schlechte-Gewalt“ Schwarzmalerei, ist die ideelle Grundlage geschaffen, mit der das Kapital seine eigene Macht und Gewalt festigen und gegen die Krawallmacher ausspielen kann. So konnte das Kapital problemlos, ohne irgend ein moralisches Bedenken und vollkommen kritiklos Spezialkräfte der Anti-Terror-Polizei RAID entsenden um sich um die Krawalle zu kümmern.
In der Demokratie ist Kritik zwar erlaubt, jedoch nur im gedachten Sinne und im ausgesprochenen Wort. Doch wirkliche Kritik hat immer auch eine praktische Seite. Man kritisiert etwas und die Vollendung der Kritik, ihre praktische Folgerung, ist die Aufhebung dessen, was zur Kritik steht.

Diese Form von Kritik ist in Demokratien genau so wenig gestattet wie in faschistischen Systemen. Die Kritik darf nur ideeller Natur sein, niemals praktischer Natur. Man darf also kritisieren, dass es gesellschaftliche Widersprüche, dass es Armut, Krieg, Gewalt usw. gibt, man darf dies aber nicht tätlich ändern. Daher verliert die Kritik in der Demokratie ihren Sinn, ihre Spitze, und wird somit stumpf. Da stumpfe Kritik dem Kapital nicht schadet, ist diese Form der Kritik (falls man das überhaupt noch Kritik nennen kann) erlaubt. Sobald aber die Kritik von einem praktischen Charakter geprägt ist, wie etwa in den Banlieus von Paris (ob bewusst oder unbewusst), dann wird die Kritik für das Kapital gefährlich und vermag tatsächlich auch in gewissem Masse an den Grundfesten der warenproduzierenden Gesellschaft zu rütteln. Insofern greift das Kapital auch bei solcher reellen Kritik hart durch und erstickt sie. Diese Ideologie der kritiklosen Kritik zeigte sich auch als konkrete Antwort auf die Krawalle: Angeführt vom neogaullistischen Bürgermeister Gérard Gaudron und die Nationalhymne singend, propagierte eine Kundgebung „Nein zur Gewalt, ja zum Dialog!“ Dies zeigt den bürgerlichen Umgang und die Verständnislosigkeit für ihre Situation, welche den Aufständischen entgegengesetzt wird. Ein Dialog zwischen Klassen zu propagieren, deren Interessen unvereinbar sind, führt zur Weiterbestehung sowohl der Klassen als auch des Widerspruchs, der die Klassen in sich tragen. Einen Dialog zu fordern, heisst Gesichtspunkte zu suchen, welche den Menschen in den Banlieus erlauben mit ihrer miserablem Situation zu recht zu kommen, nicht aber diese Situation per se aufzuheben. Weiter sagte Gaudron: „Wir wollen zeigen, daß wir der Gewalt nicht weichen“. „Die Gesetze der Republik müssen überall gelten.“ Auch hier bemerkt man wieder diesen eigentümlichen Umgang mit dem Gewaltbegriff. Die Gewalt der Gesetze (die ja immerhin vom Staat gewaltvoll ausgeübt werden und bei Nichtbefolgen mit dem Landen hinter schwedischen Gardinen enden) werden verteidigt gegenüber derjenigen Gewalt, welche an der Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols rüttelt.

Ob, wie und wo Gewalt ausgeübt wird ist jedoch nicht bloss eine Frage der Legitimation. Gewalt ist als gesellschaftliches Phänomen zu betrachten. Sie entspringt weder einem sehr fragwürdigen „Zerstörungs-, Vernichtungs- und Aggressionsdrang“, der im Menschen steckt noch sonst einer vermeintlichen Natureigenschaft, die ausserhab der Gesellschaft zu hocken scheint. Gewalt entsteht immer dort wo es gesellschaftliche Konflikte gibt, wo die Reibereien von Widersprüchen (in diesem Falle des Klassenantagonismus ) sich entladen. Daher wäre es auch nutzloss die Krawalle in Paris ihrer Gewalttätigkeit wegen kritisieren und verwerfen zu wollen. Vielmehr muss es um die Analyse dieser Bruchstellen der Gesellschaft gehen und um eine endgültige Überwindung dieser Widersprüche, welche sich regelmässig in Form von Gewalt Ausdruck verleien. Eine solche Emanzipation über diese Widersprüche hinaus ist jedoch innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich, da es sich um immanente Widersprüche handelt. Daher kann nur eine Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft als ganzes zur Aufhebung dieser Widersprüche führen.

In dieser Abwehrreaktion entpuppt sich das Kapital, das grundsätzlich überhaupt keine homogene Klasse ist, als Klasse, welche in bestimmten gefährlichen Situationen plötzlich sehr homogen wird. So berichtete die Tagesschau: „Angesichts der Tragweite dieser Krise gehen rechts und links inzwischen politisch zusammen“ . Die Situation wird seitens des Kapitals schon öffentlich als Krise anerkannt, das heisst dass sich die Bourgeoisie wikrlich bis zu einem gewissen Masse von einer realen Gefahr bedroht fühlt, welche durchaus auch noch gefährlicher werden könnte. Dies führt auch zu einem stärkeren Zusammenhalt innerhalb der Klasse des Kapitals, welche im Bezug auf die Situation in den Vororten eine einheitliche Meinung vertritt.

Als weiterer Umgang mit den Krawallen in den Banlieus greift das Kapital auch auf rassistische Muster zurück. Die Krawalle werden auf die fremde Kultur der oftmals vom Ausland zugezogenen Banlieu-Einwohner zurückgeführt und auf Desintegration dieses „Packs“ und dieser „Schurken“ (Wortlaut von Präsident Nicolas Sarkozy) in die französiche Kultur. Nicht selten wird die entfachte Wut der Banlieu-Kids als „muslimischer Terror“ oder ähnlich bezeichnet. Damit wird der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung der Krawalle bestens verklärt, jeglicher sozialer Hintergrund, der zwangsmässig zu einer Kritik am kapitalistischen System führen müsste, wird ausgeblendet. Ein Paradebeispiel dafür ist auch eine von den Krawallen ausgelöste Diskussion über die Ursache der Unruhen, welche zum Schluss kam, dass das Problem bei der Polygamie der zugezogenen afrikanischen Familien läge, welche eine art psychische Verhaltensstörung und einen erhöhten Drang zur Gewalt auslösen würde. So schreibt der Spiegel am 16. November 2005: „Auf der Suche nach den Gründen für die Gewaltausbrüche in den Vorstädten glauben französische Politiker fündig geworden zu sein: Die in vielen Immigranten-Familien verbreitete Polygamie führe zu "antisozialem Verhalten", sagte Arbeitsminister Larcher.“

Es ist klipp und klar, was die Ursachen der Krawalle in den pariser Vororten sind. Weder Polygamie, muslimische Brutalität, Aggressionstrieb oder sonstige rassistische und realitätsfremde Verschleierungen können als Ursache herhalten: Es handelt sich um Entladungen von gesellschaftlichen Reibungen, welche dem kapitalistischen Klassenantagonismus entspringen.

Die einzig reale und langfristige Perspektive, welche die „Banlieu-Kids“ für ein besseres Leben fern von sozialen Problemen, Armut und Ächtung besitzen, ist die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft, in der sie Teil einer unterdrückten und ausgebeuteten Klasse sind. Daher ist es auch notwendig, dass der teils als „blinde Wut“ wahrgenommene Protest in den Banlues einen klassenkämpferischen Charakter erhält, der darüber hinaus geht sich bloss an den nächtlichen Randalezügen zu beteiligen. Eine Reflexion über das gesellschaftliche Verhältnis in dem sie leben, die Einsicht, dass man Teil einer Klasse ist und nicht zuletzt das bewusste agieren als Teil dieser Klasse ist von Notwendigkeit.