Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
Egal welche Formen der Kapitalismus annimmt, von sozialer Marktwirtschaft über Manchesterliberalismus und Staatskapitalismus bis zu Faschismus, egal welche Partei gerade am Ruder ist, an den ökonomischen Zwängen ändert sich nichts. Das heisst, produziert wird nur, was Profit erzielt. Möglichst viel Profit. Weiter folgt daraus, dass eben nur die Bedürfnisse der zahlungskräftigen Menschen berücksichtigt werden.
Produziert wird nicht, was notwendig ist, sondern was Geld einbringt.
Ein Blick in die Slums der Entwicklungsländer bestätigt dies auf drastische Weise. Dies ist weder zufällig noch verwunderlich: Der Kapitalismus zielt gerade nicht darauf ab, Wohlstand für alle zu schaffen und nachhaltig zu produzieren, sondern nur darauf, Profite zu erwirtschaften. Nicht nur aus Gier oder Masslosigkeit, sondern auch aus der Notwendigkeit, im Konkurrenzkampf mitzuhalten. Darum die fortlaufende Entwicklung und Expansion der Industrie. Riesige Fortschritte, technische Meisterleistungen, wahnsinniger Reichtum – aber nur für wenige. Profitmaximierung heisst auch, dass sich massenhaft Arbeiterinnen kaputt malochen, während andere auf die Strasse gestellt werden. Parteien und Sozialstaat verwalten nur das Elend. Einige schlecht, andere noch schlechter. Wer gerade an der Macht ist, spielt keine Rolle.
Aber auch in Gewerkschaften, die lediglich eine Verbesserung der Lebensbedingungen für ihre Klientel innerhalb des Kapitalismus fordern, sehen wir keine Alternative. Sie reproduzieren die Zwänge und Ungleichheiten des Systems, anstatt sie zu beseitigen, und integrieren die Arbeiterinnen in den widrigen Arbeitsprozess, statt sie zu befreien.
Zeit, dieses System zu überwinden und die Produktion gesellschaftlich zu organisieren. Eine Umgestaltung der Verhältnisse,
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weil die Probleme und Widersprüche nicht mit Reformen gelöst werden können. Die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus lassen sich nicht reformieren;
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weil die Probleme nicht von einzelnen Menschen, Unternehmen oder Gruppierungen verursacht werden. Der Kapitalismus ist totalitär und umfasst die ganze Gesellschaft.
Heute können zwar technologisch hochstehende Waren produzieren werden - aber unter miserablen Arbeitsbedingungen. Während sich ein kleiner Teil der Gesellschaft diese leisten kann, versinkt der Rest im Elend. Obwohl mit der heutigen Produktivkraft ein angenehmes Leben in Wohlstand für alle möglich ist!
In den Händen hälst du nun das überarbeitete und stark erweiterte Grundsatzpapier der Libertären Aktion Winterthur (LAW). Wir sehen unser Grundsatzpapier nicht als ein immerwährend gültiges, in sich abgeschlossenes Manifest unserer Gruppe und für den libertären Kommunismus an, sondern als eine Analyse der momentanen Situation und als eine Reflexion der sich daraus ableitenden Praxis. Wir sehen dieses Grundsatzpapier als notwendigen, verpflichtenden Leitfaden für unsere theoretischen, organisatorischen und agitatorischen Aktivitäten an, wobei es sich in inhaltlicher Hinsicht irgendwo zwischen dem kleinsten und grössten gemeinsamen Nenner der Mitglieder der LAW befindet. Es wiedergibt somit einen Konsens unter den Mitgliedern, der mehr ist als nur ein mühsam abgerungener Kompromiss zwischen verschiedenen Auffassungen, doch handelt es sich dabei ebensowenig um ein Positionspapier, dessen zukünftige Ausweitung nicht mehr möglich ist.
Im Grundsatzpapier werden wir einige Begriffe verwenden, die innerhalb der linken Theoriegeschichte, insbesondere der marxistischen, eine zentrale Bedeutung erlangt haben, so bspw. „Proletariat“, „Revolution“ oder „Kapitalismus“. Da wir zum einen nicht voraussetzen können, dass alle Leserinnen mit diesen Begriffen vertraut sind, wir anderseits aber auch versucht haben, uns selbst Klarheit über unsere spezifische Verwendung dieser Definitionen zu verschaffen, haben wir am Schluss des Grundsatzpapiers einen Glossar angefügt.
Noch ein Hinweis zur Schreibweise: Da wir keine AnhängerInnen des Binnen-Is sind und langatmige Konstruktionen wie „Arbeiterinnen- und Arbeiterschaft“ vermeiden wollten, haben wir uns entschieden, stets die weibliche Form zu verwenden, gemeint sind aber, sofern nicht anders erwähnt, selbstverständlich alle Geschlechter.
Viva la revolución!
Libertäre Aktion Winterthur, im Frühling 2010