Communiqué zur Kundgebung
„Wir wollen keine Freiräume, wir wollen die ganze Stadt“
Am 21. September haben wir unter dem Namen „StandortFUCKtor – Wir tanzen drauf!“ versucht uns gemeinsam, tanzend und unbewilligt den öffentlichen Raum zurückzunehmen und dabei auf die Stadtaufwertung und die daraus resultierende Verdrängung aufmerksam zu machen. Wie wir gesehen haben, hat die Stadt diese selbstbestimmte Kritik nicht geduldet.
Nicht nur selbstbestimmte Kritik an der Aufwertung, sondern auch immer mehr Menschen haben in dieser Stadt keinen Platz mehr: Die Stadt versteht sich als Unternehmen, funktioniert somit ganz nach kapitalistischer Logik und reduziert sich auf eine Ansammlung von sogenannten Standortfaktoren. Im Konkurrenzkampf mit anderen Städten buhlt auch Winterthur um den Zuzug von sogenannt guten Steuerzahlerinnen. Es sollen so vor allem Grosskonzerne und Gutverdienende angelockt werden. Die Stadt wird an den Meistbietenden verscherbelt und wird dabei noch grauer, charakterloser und langweiliger, aber eben auch enger und repressiver. Es ist offensichtlich, dass die sogenannte Aufwertung der Stadt nur Wenigen zugute kommt. Für die grosse Mehrheit, für Jugendliche ohne dickes Portemonnaie, für Migrantinnen, Arbeitslose, sozial an den Rand Gedrängte, für Alte und Alleinerziehende bedeutet Aufwertung Verdrängung. Immer mehr Menschen finden deshalb hier und in anderen Stadtzentren keinen Platz mehr. Das zeigt sich beispielsweise beim Wohnungsmarkt, bei der (Alternativ-) Kultur und bei der Überwachung, Kontrolle und Zurückdrängung des öffentlichen Raums.
Deshalb haben wir zu einer Protestkundgebung im oberen Graben aufgerufen. Wir lassen uns nicht mundtot machen und tragen unsere Inhalte auch weiterhin lautstark auf die Strasse.
Kurz nach 15.00 Uhr versammelten sich rund 300–400 Personen beim Holidi. Es wurden Transparente aufgehängt und Flugblätter verteilt, gleichzeitig wurde aus verschiedenen Anlagen Musik gespielt. Um ca. 17.00 Uhr formierte sich aus den anwesenden Personen spontan ein Demonstrationszug. Mit Musik, Transparenten und Parolen (z.B. 'Wem sini Stadt? Oisi Stadt!') zogen wir lautstark durch die Marktgasse Richtung Bahnhof. Über den Bahnhofplatz ging es weiter auf die Technikumstrasse, wo wir den Archhöfen tanzend den Mittelfinger zeigten. Über die Technikumstrasse, den Neumarkt, die Steinberggasse und Obergasse kamen wir zum Obertor. Mit dem gewalttätigen Polizeieinsatz vom 21. September im Hinterkopf, blieben die Leute vor dem Polizeiposten stehen und brachten ihren Unmut darüber mit Parolen lautstark zum Ausdruck. Auf der General-Guisan-Strasse wurde in einer symbolischen Aktion eine Luxusüberbauung des Vögeliparks unter dem Namen „Voliere“ mit einem ironischen Transparent und Cüpli gefeiert. Danach entschloss man sich, die Demonstration in der Steinberggasse selbstbestimmt aufzulösen und es wurden spontan Transparente aus Häusern gehängt. Nach dem Protest wurde dort bis in die Nacht hinein mit Musik und Bier gefeiert.
Entgegen den Zielen der Stadt und der Polizei liessen wir uns durch die Polizeigewalt des 21. Septembers nicht einschüchtern und trugen unsere Inhalte zur Stadtenwicklung wiederholt und selbstbestimmt auf die Strasse, ohne bei den Stadtoberen um Erlaubnis zu fragen. Keine Bewilligung einzuholen soll als politischer Ausruck verstanden werden und nicht, wie aus anderen Quellen zu erfahren war, um anonym zu bleiben oder nur weil wir keiner „etablierten politischen Organisation“ angehören. Zudem macht es schlichtweg keinen Sinn, die für die angprangerten Entwicklungen Verantwortlichen um Erlaubnis zu fragen, um dagegen zu protestieren.
Der Anlass vom 21. September wurde versucht im Keim zu ersticken. Als Legitimation dafür wurde unter Anderem aufgeführt, dass keine Bewilligung vorlag und dass der Umzug sogenannt „heikle Zonen“ wie die Altstadt, den Banhofplatz oder die Archhöfe tangiert hätte. Spätestens diese unbewilligte Demonstration vom Samstag Nachmittag mit gleichen Inhalten und ähnlicher Form, welche durch eben diese „heiklen Zonen“ führte, hat gezeigt, dass diese Legitimation unhaltbar ist. Es hat auch gezeigt, dass sich die Stadt und die Polizei nach dem gewaltätigen Einschreiten am StandortFUCKtor in der Defensive befinden.
Es sollte jetzt auch endlich Allen klar sein, dass es uns dabei nicht um „Jugendliche“ und „Freiräume“ geht, sondern um die negativen Auswirkungen einer auf Profit ausgerichteten Stadtentwicklung. Logisch werden Jugendliche von dieser Entwicklung auch tangiert. Wir lassen unsere Inhalte jedoch nicht darauf reduzieren, auch im Wissen darum, dass so versucht wird, unseren Protest harmlos erscheinen zu lassen.
Darum:
Gegenräume statt Freiräume!
Wir wollen keine Freiräume sondern die ganze Stadt!
Aufwertung heisst Vertreibung – und dagegen wehren wir uns, gestern, heute, morgen!
[Quelle: indymedia & facebook]
Flugblatt: WIR WOLLEN KEINE FREIRÄUME, WIR WOLLEN DIE GANZE STADT!
Am 21. September haben wir versucht uns gemeinsam, tanzend und unbewilligt den öffentlichen Raum zurückzunehmen und dabei auf die Stadtaufwertung und Verdrängung aufmerksam zu machen. An diesem Abend erlebten wir unerwartete Dimensionen an polizeilicher Vorgehensweisen: Völlige Blockade und Einkesselung des Anlasses, massiver Einsatz von zwei Wasserwerfern, Gummischrot und Pfefferspray, fast 100 Verhaftete und zahlreiche zum Teil schwer Verletzte.
Die Möglichkeit, Kritik zur Stadtentwicklung in Winterthur selbstbestimmt an viele Menschen heranzutragen, sollte im Keim erstickt werden. Die Menschen sollten wieder von der Strasse vertrieben, entmutigt und vereinzelt werden. Diese Strategie war eine bewusste Entscheidung. Zur Erreichung dieses Ziels wurden auch Verletzte in Kauf genommen, wie die Geschichte der jungen Winterthurerin, die durch Gummischrot fast das gesamte Sehvermögen eines Auges verlor, zeigte. Spätestens das Verhalten der Stadt und der Polizei an jenem Abend und jenes danach, also sowohl die Gewalt als auch die dreisten Lügen und Rechtfertigungsstrategien sowie das Herunterspielen der Inhalte auf "Jugendliche" und "Freiräume" zeigt die Notwendigkeit eines Protestes gegen Nulltoleranz in Winterthur. Sie bestätigt einzig und alleine die Wichtigkeit unserer Inhalte und eines Widerstandes gegen Stadtaufwertung.
Denn nicht nur selbstbestimmte Kritik an der Aufwertung, sondern auch immer mehr Menschen haben in dieser Stadt keinen Platz mehr: Die Stadt versteht sich als Unternehmen, funktioniert somit ganz nach kapitalistischer Logik und reduziert sich auf eine Ansammlung von sogenannten Standortfaktoren. Im Konkurrenzkampf mit anderen Städten buhlt auch Winterthur um den Zuzug von sogenannt guten Steuerzahlerinnen, angelockt werden sollen dabei vor allem Grosskonzerne und Gutverdienende. Die Stadt wird an den Meistbietenden verscherbelt und wird dabei noch grauer, charakterloser und langweiliger, aber eben auch enger und repressiver. Immer mehr Menschen finden deshalb hier und in anderen Stadtzentren keinen Platz mehr.
Wohnraum als Standortfaktor
Das zeigt sich beim Wohnen: Gebaut wird vornehmlich im oberen Preissegment, beispielsweise kostet eine 3,5-Zimmer-Wohnung in den Archhöfen bis zu 5600 Franken. Ähnliche Entwicklungen ziehen sich durch ganz Winterthur: Ob Sulzerareal, Stadtmitte oder Töss. Bezahlbarer Wohnraum wird knapp. Wer sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten kann, muss halt wegziehen.
"Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt" zu spüren bekommen insbesondere Menschen am unteren Rand der Gesellschaft: Diesen Sommer wurde bekannt, dass Asylbewerberinnen aus städtischen Wohnungen vertrieben und in einer Asyl-Containersiedlung zusammengepfercht werden sollen.
Kultur als Standortfaktor
Wo es nur geht, vermarktet sich Winterthur mit der Aussage, eine Kulturstadt zu sein. Die Menschen, welche diese Kultur schufen - oft in Freiwilligenarbeit, mit wenig Mitteln aber viel Einsatz - waren willkommen, solange sie vermarktet werden konnten. So wurden auch die Archhöfen mit dem Argument beworben, an urbaner Lage zu stehen und (Alternativ-) Kultur gleich um die Ecke zu haben. Doch wer 5000 Franken für eine Wohnung bezahlt, will auch bei offenem Fenster bei 0 Dezibel schlafen können. Und so darf seit einiger Zeit in Winterthur offiziell niemand mehr ab Mitternacht draussen etwas trinken. Das Verbot wurde auf immer mehr Betriebe ausgeweitet, mittlerweile hat es jedes Nachtlokal in Winterthur getroffen. Der Aufräumwahn der Stadt zerstört das, was sie als Standortfaktor willkommen geheissen hat: "Kultur und Nachtleben als Aufwertung ja - aber dann soll sie bitte wieder still und unsichtbar werden".
Öffentlicher Raum als Standortfaktor
Im Zuge der Stadtaufwertung wird auch der öffentliche Raum zunehmend überwacht, kontrolliert und zurückgedrängt. Was das konstruierte Idyll der "Garten- und Kulturstadt Winterthur" stört, ist nicht erwünscht. Die repressiven Massnahmen zu spüren bekommen neben Jugendliche, welche "rumhängen" und irgendwo draussen ein Bier trinken wollen, auch sogenannte "Alkis", "Drögeler", "Dealer" und "Asylanten", denn sie haben in der Postkartenidylle nichts verloren.
Aufwertung heisst Verdrängung!
Es ist offensichtlich, dass die sogenannte Aufwertung der Stadt nur Wenigen zugutekommt. Für die grosse Mehrheit, für Jugendliche ohne dickes Portemonnaie, für Migrantinnen, Arbeitslose, sozial an den Rand Gedrängte, für Alte und Alleinerziehende bedeutet Aufwertung Verdrängung. Ihnen fehlt, was die Stadt am meisten interessiert: Kaufkraft. Und darüber hinaus stören sie oft das von Tourismusexpertinnen, Politikerinnen und Wirtschaftsvertreterinnen konstruierte Bild der schönen, sauberen und sicheren Stadt. Die Fokussierung auf marktwirtschaftliche Effizienz und Gewinnmaximierung führt zu einer Verdrängung der so als unerwünscht definierten Menschen aus den Zentren des städtischen Raumes.
Darum sagen wir immer noch und jetzt erst recht: FUCK Standortfaktoren! WIR sind die Stadt! Darum sind wir heute wieder hier und laut. Weder lassen wir uns mundtot machen noch lassen wir uns und unsere Vorstellungen von Leben durch die Logik der gewinnorientierten Stadt verdrängen!