Communiqué des "StandortFUCKtor"
Nulltoleranz statt toller Tanz. Mit einem Umzug mit Tanzmusik wollten sich gestern etwa 1500 Menschen selbstbestimmt, laut und unbewilligt den öffentlichen Raum nehmen und gegen die Stadtaufwertung, Verdrängung, den Sauberkeits- und Kontrollwahn antanzen. Polizeivorsteherein Barbara Günthard-Maier hat in der Tradition ihrer Winterthurer Vorgänger gehandelt.
Ganz im Gegensatz zur Ankündigung, Winterthur nicht in Polizei zu ertränken, standen wir einem gewalttätigen Meer aus Polizisten in Vollmontur gegenüber. Sie führten eine Nulltoleranz- und Eskalationsstrategie, die seinesgleichen sucht. Bereits am Bahnhofplatz wurde die Menge komplett eingekesselt, die Soundwagen schon vorher hinter dem Salzhaus angehalten (deshalb war auf dem Bahnhofplatz auch keine Musik). Nichtsdestotrotz war es uns möglich auf der Strasse vor dem Bermudadreieck mit den bereits beschlagnahmten Musik-, Band- und Barwagen einen kurzen Moment lang laut zu feiern. Kurz darauf kesselten sie die tanzende Menge mit Gitterwägen ein, und schossen von beiden Seiten gleichzeitig willkürlich und ungezielt mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Gummischrot. Über mehrere Stunden wurde im enger werdenden Kessel immer wieder in die eingesperrte Menge geschrotet, auch die Wasserwerfer wurden fleissig eingesetzt. Gleichzeitig gelang es mehr als 150 Personen einen Protestzug durch die Altstadt durchzuführen. Den vielen Verletzten (wesentlich mehr als die versorgten 11 Personen, wie von der Polizei gemeldet) wurde das Verlassen des Kessels und damit eine ärztliche Versorgung verweigert. Mindestens zwei Personen wurden durch Gummigeschosse direkt im Auge verletzt, viele weitere wurden im Gesicht oder am Kopf getroffen. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen.
Die von den grossen Medienhäusern unkritisch kolportierte offizielle Meldung, wonach es zu Ausschreitungen kam, beschreibt einzig das Verhalten der Polizei. Sie ist es, die ohne Rücksicht Menschen verletzt und Sachen geschädigt hat. Die Dimension des Polizeiaufgebotes und die Härte des Gewalteinsatzes zeigt die Notwendigkeit eines Protests gegen Nulltoleranz in Winterthur! Der Schaden ist von den Stadtoberen angerichtet. Wir sind empört aber nicht erstaunt, tieftraurig und unendlich wütend.
Antirep-Aufruf
Wenn ihr verletzt worden seid, lasst dies für mögliche rechtliche Schritte ärztlich attestieren. Fotografieren alleine reicht nicht.
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Meldet euch bei
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Wir brauchen zudem eure Unterstützung, sowohl für den entstandenen Schaden an unserem Material als auch für mögliche Bussen und allfällige weitere rechtlichen Schritte. Danke.
Unser Konto:
Verein Soli-Fonds/8400 Winterthur/Konto-Nr: 90-192016-2/Zahlungszweck:Standortfucktor
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Und denkt daran, wenn ihr Fotos hochladet. Anonymisiert diese. Die abgelichteten Leute werden es euch danken.
Aufruf zur Tanzdemo
StandortFUCKtor Winterthur
Wir tanzen drauf!
Es wird eng in den «urbanen Zentren» Europas – und auch in der Schweiz und im provinziellen Winti. Die wenigen verbliebenen Freiräume werden zu Ordnungswüsten gesäubert, sie werden öde und teuer. Mit höheren Mieten kommen mehr Lärmklagen, mehr Polizeipatrouillen, mehr Überwachungskameras, mehr seelenlose Konsumtempel. Menschen, die nicht ins saubere Stadtbild passen, werden verdrängt und Winti wird grau auf dem Weg zu einer lukrativeren Stadt. Toleriert und gefördert wird nur, was Profit abwirft. Das passt uns überhaupt nicht, deshalb feiern wir. Laut, ungefragt und bis tief in die Nacht hinein. Heute wollen wir nur toller Tanz gegen Nulltoleranz. Aber morgen wollen wir noch viel mehr.
21.September 2013, 21.00 Uhr, Hauptbahnhof Winterthur
StandortFUCKtor über Standortfaktoren,
oder wieso wir tanzend durch die Strassen ziehen
Wir nehmen uns am 21. September gemeinsam, tanzend und unbewilligt den öffentlichen Raum zurück und lassen uns dabei nicht vorschreiben, wohin wir gehen und wie lange wir bleiben. Denn Vorschriften und Verbote gibt es hier wie anderswo mehr als genug, weil auch diese Stadt sich als Unternehmen versteht, somit ganz nach kapitalistischer Logik funktioniert und zum Standort degradiert wird: Im Konkurrenzkampf mit anderen Städten buhlt auch Winterthur um den Zuzug sogenannt guter Steuerzahlerinnen, angelockt werden vor allem Grosskonzerne und Gutverdienende. Die Stadt wird an die Meistbietenden verscherbelt und sie wird dabei noch grauer, charakterloser und langweiliger, aber auch enger und repressiver. Gefördert wird nur, was Profit abwirft, alles andere wird zunehmend verboten. Immer mehr Menschen finden deshalb hier und in anderen Stadtzentren keinen Platz mehr. Uns stinkt diese Welle der "Aufwertung", die weltweit über die Städte und auch über Winterthur rollt.
>Wohnraum als Standortfaktor
Am Beispiel der Archhöfe lässt sich kaum passender eine Entwicklung aufzeigen, gegen welche wir am 21. September in Winterthur die Boxen aufdrehen und antanzen. Da, wo das Volkshaus - zugänglich für alle und ein Ort des Kampfes für soziale Gleichheit - vor 9 Jahren abgerissen wurde, hat man nun einen weiteren unnötigen Konsumtempel mitsamt Luxuswohnungen hingepflastert.
Die Archhöfe sind mit ihrer Gefängnis-Optik ein negatives Paradebeispiel der Winterthurer Stadtentwicklung, denn sie zeigen auf, wie sich Winterthur im städtischen Konkurrenzkampf um die "guten Steuerzahler" verhält. Sie sind ein Zeichen dafür, dass Menschen welche nicht "verwertbar" sind, systematisch verdrängt, ausgeschlossen und damit marginalisiert werden.
"An bester Lage und luxuriös wohnen" kann man auf der Homepage erfahren. Die implizite Nachricht an potenzielle Zuzügerinnen lässt sich in etwa so formulieren: "Wir haben schon genug Einkaufszentren in Winterthur, aber wir können trotzdem noch eins bauen. Kommt her, wenn ihr die 3200.- Franken für eine 2.5-Zimmer-Wohnung bezahlen könnt. Wir sorgen auch dafür, dass der schöne Vorplatz immer sauber und überwacht bleibt. Am besten ihr seid Singles oder Paare ohne Kinder, die haben wir am liebsten, denn die zahlen am meisten Steuern. Und scheiss drauf, dass viele andere Menschen, die zu wenig Geld haben, über kurz oder lang aus dem Zentrum der Stadt wegziehen müssen. Die sollen mal was machen aus ihrem Leben. Was wollen wir denn schon von denen? Die sind weder zahlungskräftig noch gut fürs Image. Genau deshalb haben wir die Drogenanlaufstelle an der Meisenstrasse schon im 2009 an die Zeughausstrasse verlegt, dann müssen Sie wenigstens dieses Trauerspiel nicht mehr mitansehen!"
Eine 3,5-Zimmer-Wohnung in den Archhöfen kostet bis zu 5600 Franken im Monat. Ähnliche Entwicklungen ziehen sich durch ganz Winterthur: Ob Sulzerareal, Stadtmitte, Töss oder Zeughausareal, überall wird die Allgemeinheit enteignet und Privaten Platz gemacht. Grossen Wert legt die Winterthurer Stadtentwicklung und Standortförderung laut Eigenaussage auf den Erhalt der hohen Lebensqualität als Standortfaktor. Nur gilt leider "die hohe Lebensqualität" nicht für alle sondern nur für wenige. Wer sich die Mieten nicht mehr leisten kann, muss wegziehen oder wird notfalls zwangsgeräumt. Auch gebaut wird vornehmlich im oberen Preissegment, bezahlbare Wohnungen werden rarer. "Die angespanne Lage auf dem Wohnungsmarkt" zu spüren bekommen insbesondere Menschen am unteren Rand der Gesellschaft: Diesen Sommer wurde bekannt, dass Asylbewerberinnen aus städtischen Wohnungen verdrängt und in einer Asyl-Containersiedlung zusammengepfercht werden sollen.
Wir lassen uns nicht an den Stadtrand abschieben!
>Sicherheit und Ordnung als Standortfaktor
Was das konstruierte Idyll der "Garten- und Kulturstadt Winterthur" stört, ist nicht erwünscht, sichtbare soziale Auswirkungen einer profitorientierten Gesellschaft werden negiert. Im Zuge der Stadtaufwertung wird der öffentliche Raum zunehmend überwacht, kontrolliert und zurückgedrängt. Dafür steht ein breites Spektrum an Massnahmen zur Verfügung. Dazu zählen präventive Massnahmen - auch als Erziehung zur Selbstkontrolle - wie Videoüberwachung, städtebauliche Eingriffe, "Sensibilisierungskampagnen" sowie eine Zunahme von Regulierungen, Vorschriften und Auflagen. Für Winterthur heisst das: ca. 175 Kameras verteilt in der Stadt, davon etwa 25 am Bahnhof, wenig Sitzgelegenheiten rund um den Bahnhof (wo kein Platz zum sitzen ist, lungert niemand rum), erzieherische Sensibilisierungskampagnen wie "Nach(t)barlärm stört" sowie einschränkende Vorschriften wie die neue Altstadtverordnung und das neue Polizeigesetz (Littering 50 CHF, Spucken 30 CHF, Urinieren 80 CHF etc).
Auf der anderen Seite des Spektrums stehen repressive Massnahmen: Verstärkte Präsenz von Polizei und Sicherheitsdiensten, Zunahme von Polizei-Kontrollen, Festnahmen und Wegweisungen. Die Räumung und Neugestaltung des Pavillons hinter dem Manor ist ein weiteres Beispiel für die Säuberung des öffentlichen Raums: Sogenannte "Alkis", "Drögeler", "Dealer" und "Asylanten" haben in der Postkartenidylle nichts verloren und werden deshalb unsichtbar gemacht.
Der herrschenden fremdenfeindlichen Stimmung Rechnung tragend (und diese mitproduzierend), verstärken sich im öffentlichen Raum auch Zugriffe auf Migrantinnen. Die "Aktion Sahara" der Kantonspolizei Zürich ist dafür ein Beispiel: Sie zielt in der Selbstbeschreibung als Reaktion auf den arabischen Frühling darauf ab, junge dunkelhäutige Männer am Bahnhof Winterthur zu kontrollieren. Neben dem fragwürdigen Wortspiel wird dabei ein rassistisches Pauschalbild konstruiert, nach der Devise "Jeder Schwarze ist potentiell ein Krimineller".
Wir haben kein Bock auf rassistische Hetze, weder im öffentlichen Raum noch sonstwo!
>Kultur als Standortfaktor
Wo es nur geht, vermarktet sich Winterthur seit Jahren mit der Aussage, eine Kulturstadt zu sein. Wie viele andere Städte, hat auch Winterthur in den 90ern gemerkt, dass man unrentable und verlassene (Industrie-)Orte am besten durch kulturelle Zwischennutzung verfreundlicht. Die Kultur-Aktivistinnen, die Winterthur überhaupt zu einer Kulturstadt gemacht haben und immer noch machen - oft in Freiwilligenarbeit, mit wenig Mitteln aber viel Einsatz - waren willkommen, solange sie vermarktet werden konnten. So wurden auch die teuren Wohnungen in den Archhöfen mit dem Argument beworben, an urbaner Lage zu stehen und (Alternativ-)Kultur gleich um die Ecke zu haben. Doch wer 5000 Franken für eine Wohnung bezahlt, will auch bei offenem Fenster bei 0 Dezibel schlafen können. Und so wendet sich das Blatt: Seit einiger Zeit darf in Winterthur offiziell niemand mehr ab Mitternacht draussen etwas trinken.
Begonnen hat diese Entwicklung unter dem jetzigen Stadtpräsidenten Michael Künzle (damals noch Sicherheitsvorsteher). Seither wurde das Verbot auf immer mehr Betriebe ausgeweitet, mittlerweile hat es jedes Nachtlokal in Winterthur getroffen. Auch solche, die nicht wegen zugezogenen wohlhabenden Nachbarn Lärmklagen und Bussen eingefangen haben. Oftmals markieren Polizeipatrouillen pünktlich zur Schliessungsstunde Präsenz und verjagen so die friedfertigen Gäste forsch. Häufig werden absurde Bussen gesprochen. Der Aufräumwahn der Stadt zerstört das, was sie als Standortfaktor willkommen geheissen hat: "Kultur und Nachtleben als Aufwertung ja - aber dann soll sie bitte wieder still und unsichtbar werden". Wir wollen jedoch weder still und unsichtbar sein, noch als Schmiermittel der Stadtaufwertung herhalten!
>Ihre Aufwertung ist unsere Verdrängung
Es ist offensichtlich, dass die sogenannte Aufwertung der Stadt nur Wenigen zugute kommt. Für die grosse Mehrheit und dabei in verstärkter Weise für Alte, Migrantinnen, Arbeitslose, sozial an den Rand Gedrängte und Alleinerziehende bedeutet Aufwertung Verdrängung: Diese Menschen haben wenig Geld für Miete und Freizeit. Sie haben andere Vorstellungen von Kultur und Zusammenleben, dafür fehlt ihnen, was die Stadt am meisten interessiert: Kaufkraft. Mit ihnen lassen sich die gewünschten Gewinne nicht erzielen, keine Standortentwicklungsprojekte finanzieren und darüber hinaus stören sie das von Tourismusexpertinnen, Politikerinnen und Wirtschaftsvertreterinnen konstruierte Bild der schönen, sauberen und sicheren Stadt. Die Fokussierung auf marktwirtschaftliche Effizienz und Gewinnmaximierung führt zu einer Verdrängung der so als unerwünscht definierten Menschen aus den Zentren des städtischen Raumes. Darum sagen wir: FUCK Standortfaktoren! WIR sind die Stadt! Wir und unsere Vorstellungen von Leben lassen sich nicht durch die Logik der gewinnorientierten Stadt verdrängen!
Stadt für alle, statt für wenige!
Nehmen wir uns die Strasse und zeigen diesen Reglementierungen, Verboten, Polizeikontrollen, den steigenden Mieten und den Arschhöfen tanzend den Mittelfinger!
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Quelle: indymedia / Mehr Infos unter: https://www.facebook.com/events/165617630285208/?ref=22