Repression ist Scheisse!

Mit einer Spende an Antirep Winterthur Betroffene von staatlicher Repression unterstützen:

Verein Soli-Fonds, Bachtelstr. 70, 8400 Winterthur
Alternative Bank Schweiz, 4601 Olten, Konto-Nr. 46-110-7
IBAN CH69 0839 0034 1329 1000 3

 

»Die Richter waren über den Rassismus im Verfahren gegen Mumia tief besorgt« 21.05.07 (von jW) Nach Anhörung im Fall des US-amerikanischen Journalisten vergangene Woche sieht sein Anwalt gute Signale für einen neuen Prozeß. Ein Gespräch mit Robert R. Bryan, dem Hauptverteidiger junge Welt Nr. 116 vom 21. Mai 2007
Am Donnerstag, den 17. Mai, fand vor dem 3. Bundesberufungsgericht in
Philadelphia eine Anhörung darüber statt, ob Mumia Abu-Jamal ein neuer
Prozeß gewährt wird. Amy Goodman und Juán Gonzales, Gründer und
Moderatoren des New Yorker Radioprogramms »Democracy Now!«, das über
das Pacifica Radio Network und das National Public Radio landesweit in
den USA ausgestrahlt wird, sprachen einen Tag nach der Anhörung mit
Abu-Jamals Hauptverteidiger Robert R. Bryan.

Mr. Bryan, was genau hat sich am Donnerstag vergangener Woche vor dem
3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia zugetragen?

In der mehr als zweistündigen Anhörung konnten wir vor den drei
Berufsrichtern unsere schriftlich vorliegenden Berufungsanträge
mündlich begründen und von den Richtern dazu befragt werden. Dieses
Gericht ist das zweithöchste gleich nach dem Obersten Gerichtshof der
USA. Die Richter schienen unseren Argumenten mit Interesse zu folgen.
Es ging dabei vor allem um das Todesurteil als solches, um
rassistische Motive bei der Auswahl der Geschworenen im Prozeß 1982
und um das rassistische Verhalten und die Vorurteile des
Prozeßrichters Albert Sabo.

Worum ging es im wesentlichen?

Angesichts der Vehemenz, mit der die Staatsanwaltschaft die
Hinrichtung meines Mandanten durchsetzen will, ist gerade eine Frage
von großem Interesse: die Rechtsbrüche der Anklage und ihre Verstöße
gegen die Verfassung. In der Anhörung ging es deshalb zu etwa 20
Prozent um das Todesurteil und zu 80 Prozent um den Vorwurf des
Rassismus gegen die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia. Und
nach über dreißig Jahren, die ich nun mit Todesstrafenfällen befaßt
bin, kann ich rückblickend sagen, daß die Anhörung beispiellos war.
Diese drei Richter, von denen wir natürlich noch nicht wissen, wie sie
letztendlich entscheiden werden, waren über den Rassismus im Verfahren
gegen meinen Mandanten erkennbar tief besorgt. Das war deutlich zu
sehen.

Sie werfen der Justiz in Philadelphia vor, im ursprünglichen Prozeß
von 1982 gezielt schwarze Jurykandidaten von der Verhandlung
ausgeschlossen zu haben. Warum ist dieser Punkt so wichtig?

Der Oberste Gerichtshof der USA hat gerade in dieser Frage in den
letzten Jahren klar Stellung bezogen. 1986 gab es das erste
Grundsatzurteil, wonach rassistische Motive bei der
Geschworenenauswahl einen Verstoß gegen die US-Verfassung darstellen.
Und in Abu-Jamals Fall hat Staatsanwalt McGill mit Zweidrittel seiner
zulässigen Einsprüche afroamerikanische Juroren abgelehnt und nur in
20 bis 25 Prozent weiße. Es gibt statistische Erhebungen, die
dokumentieren, daß die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia in
den 1980er Jahren und davor in allen untersuchten Fällen genauso
verfahren ist. Deshalb habe ich gestern vor den Richtern die zentrale
Frage aufgeworfen, ob Rassismus - Rassismus im Amt - in diesem Fall
eine Rolle gespielt hat. Hoffen wir, daß die Richter diese Frage wie
wir mit einem klaren Ja beantworten.

Hugh Burns, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, vertrat während
der Anhörung die Meinung, Bundesrichter William Yohn habe eine
Fehlentscheidung getroffen, als er im Dezember 2001 das Todesurteil
gegen Abu-Jamal in lebenslange Haft umwandelte. Er hätte sich laut
Burns der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Pennsylvania
anschließen müssen, der bereits vor Jahren festgeschrieben hatte, es
habe 1982 keine fehlerhafte Rechtsbelehrung der Geschworenen gegeben.
Können Sie das näher erläutern? Außerdem denken ja viele, Abu-Jamal
sei immer noch im Todestrakt.

Das stimmt aber. Er ist immer noch im Todestrakt! Er befindet sich
dort in einer Zelle, die kleiner ist als die meisten Badezimmer. Und
dort schreibt er seine Kolumnen, was phänomenal ist und worüber man
ausführlicher sprechen sollte. Aber zu Ihrer Frage: Bundesrichter Yohn
hat 2001 das Urteil umgewandelt, weil nach seinen Feststellungen der
Prozeßrichter Albert Sabo das Todesurteil durch mißbräuchliches
Vorgehen erreicht hat. Sabo hat die Jury, bevor sie sich zur Beratung
zurückzog, instruiert, sie könne in ihrem Urteil ausschließlich die
Todesstrafe aussprechen, es sei denn, alle Geschworenen kämen
einstimmig zu dem Schluß, daß bestimmte Umstände ein milderes Urteil
erforderten. Nach dieser Belehrung mußten die Geschworenen der Meinung
sein, ein Todesurteil nur durch einstimmig beschlossene Einwände
abwenden zu können. Das ist aber kompletter Unsinn und widerspricht
Grundsatzurteilen des Obersten Gerichtshofs der USA. Deshalb entschied
Bundesrichter Yohn, damals das Todesurteil aufzuheben, und ordnete an,
daß eine neue Jury über die Frage von Leben und Tod zu entscheiden
habe. Die Anklage ging sofort dagegen in Berufung, weshalb das
Todesurteil weiterhin Bestand hat, und mein Mandant bis heute in der
Todeszelle sitzt.

Wie war der Verlauf der Anhörung am Donnerstag?

Staatsanwalt Burns durfte als Erster sprechen, weil er 2001 auch
zuerst Berufung eingelegt hatte. Die Bundesrichter unterbrachen ihn
mehrfach, und es war ihnen anzumerken, daß es für sie unbegreiflich
war, wie jemand der Meinung sein kann, daß das, was Richter Sabo
damals im Prozeß gemacht hatte, in Einklang mit der US-Verfassung
steht. Nach Burns haben wir, die Verteidigung, unsere Berufungsgründe
erläutert. Uns geht es natürlich darum, daß unser Mandant nicht
hingerichtet wird. Wir wollen einen neuen Prozeß für ihn und in diesem
neuen Verfahren kann er nur freigesprochen werden. Ich möchte, daß er
nach 25 Jahren endlich wieder zu seiner Familie nach Hause
zurückkehren kann.

Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung des Gerichts?

In den nächsten Monaten, aber es gibt leider keine Anhaltspunkte
dafür, das genauer vorauszusagen. Ich schätze, daß es 45 bis 90 Tage
dauern wird. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß
gestern abend etwas passiert ist, das ich in all den Jahren in
Hunderten von Todesstrafenverfahren noch nie erlebt habe: Das Gericht
hat mir gestern abend eine E-mail geschickt und mich gebeten, ein
Transkript des Verhandlungsverlaufs der Anhörung zu beantragen. Es
macht einen großen Unterschied, daß das gestern kein Prozeß vor einer
Jury war, sondern eine mündliche Anhörung vor drei Bundesrichtern. Es
ist völlig ungewöhnlich, daß nach einer Anhörung eine Niederschrift
angefertigt wird. Die Richter wollen sich nun anscheinend durch meinen
Antrag, zu dem sie mich aufgefordert haben, die Handhabe zur
Anfertigung einer Niederschrift verschaffen und sich so selbst in die
Lage versetzen, genau nachlesen zu können, was wir Verteidiger
vorgetragen haben.

Ist es nicht genauso ungewöhnlich, daß die Richter der schwarzen
Bürgerrechtsorganisation NAACP gestattet haben, in der Anhörung ihre
bereits vor Monaten schriftlich bei Gericht eingereichte Petition, in
der sie ein neues Verfahren für Mumia fordern, mündlich zu begründen?

Ja, sicher. Sie müssen wissen, daß ich nach Übernahme des Falles vor
etwa viereinhalb Jahren sofort Kontakt zum NAACP Legal Defense Fund in
New York aufgenommen habe, weil diese Organisation für ihre
außerordentlich gute Arbeit bekannt ist, insbesondere in Fällen mit
rassistischen Motiven bei der Geschworenenauswahl. Christine Swarns
hatte also gestern Gelegenheit, vor Gericht für die NAACP zu sprechen.
Das Gericht war meinem Antrag gefolgt und hatte ihr einige Minuten
meiner Redezeit gewährt. Nach mir sprach meine Mitverteidigerin Judith
Ritter, eine Jura-Professorin, die sich völlig auf die Frage der
Todesstrafe konzentrierte. Dann sprach die NAACP-Vertreterin, und ich
rundete die Sache schließlich ab und sprach ein zweites Mal. Für uns
war es grandios, daß Christine Swarns sprechen durfte, und für uns
zeigt sich daran die ernsthafte Besorgnis, mit der das Gericht an den
Fall herangeht. Sie scheinen den Fall von allen Seiten beleuchten zu
wollen, um am Ende die richtige Entscheidung zu treffen.

Konnte Mumia Abu-Jamal der Anhörung beiwohnen?

Nein, leider nicht, weil das nur eine Anhörung war und kein Prozeß.

Weiß er, was in der Anhörung passiert ist?

Ja, ich habe gestern abend lange mit ihm telefoniert. Sein Kommentar
dazu war: »Robert, du kennst meine Haltung dazu. Die Leute sollen
begreifen, daß es bei der Sache nicht um mich geht. Hier geht es um
alle Gefangenen in den Todestrakten dieser Welt. Es geht um alle
politischen Gefangenen dieser Welt. Und ich hoffe, daß eine positive
Entscheidung in meinem Fall auch anderen helfen wird.« Dieser
bescheidene Kommentar ist typisch für Mumias Haltung.

Was kann der Fall Ihres Mandanten Ihrer Meinung nach bewirken, wenn
wir dabei die de facto Nachrichtensperre in den kommerziellen Medien
in Betracht ziehen?

Die Berichterstattung in den kommerziellen Medien war in der
Vergangenheit sehr unterschiedlich. Ich habe mein Mögliches dafür
getan, den Fall öffentlich zu machen und unsere Sicht des Falls zu
verbreiten. Die Welt schaut auf diesen Fall. In Europa habe ich bei
verschiedenen Gelegenheiten in Paris und in anderen französischen
Städten gesprochen. Ich habe in England und auch in Deutschland
gesprochen, zuletzt im Januar vor zweitausend Leuten auf der Berliner
Rosa-Luxemburg-Konferenz. Nach meinen Vorträgen gab es immer stehenden
Beifall, aber nicht wegen mir oder wegen Mumia Abu-Jamal. Es zeigt
sich an diesen Reaktionen, daß die Weltöffentlichkeit begriffen hat,
daß Mumia ein Symbol ist für den Kampf zur Abschaffung der
Todesstrafe.