Repression ist Scheisse!

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Die Stadt gehört uns!

Winterthur, 21. September 2013. Ein grosses, martialisch ausgerüstetes Aufgebot aus Kantons­ und StadtpolizistInnen sowie ihre HelfershelferInnen der Bahnpolizei und privater "Sicherheits"dienste verhindern mit massiver Repression eine Tanzdemonstration, zu der wohl gut 1000 Leute angereist sind. Eine Pressemitteilung der OrganisatorInnen machte im Vorfeld deutlich, um was es bei der Manifestation gehen sollte: "Im Konkurrenzkampf mit anderen Städten buhlt auch Winterthur um den Zuzug sogenannt guter Steuerzahlerinnen, angelockt werden vor allem Grosskonzerne und Gutverdienende. Die Stadt wird an die Meistbietenden verscherbelt und sie wird dabei noch grauer, charakterloser und langweiliger, aber auch enger und repressiver. (...) Was das konstruierte Idyll der "Garten­ und Kulturstadt Winterthur" stört, ist nicht erwünscht, sichtbare soziale Auswirkungen einer profitorientierten Gesellschaft werden negiert. Im Zuge der Stadtaufwertung wird der öffentliche Raum zunehmend überwacht, kontrolliert und zurückgedrängt. (...) Wir nehmen uns die Strasse und zeigen diesen Reglementierungen, Verboten, Polizeikontrollen, den steigenden Mieten (...) tanzend den Mittelfinger."

 

Prominentes und umstrittenes Symbol der kritisierten Entwicklungen sind die vor wenigen Monaten eröffneten "Archhöfe" in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und zur Altstadt: Ein massiges, an einen 2. Weltkriegs­Bunker erinnerndes Einkaufszentrum inklusive Luxusappartements. Provozierend ist nicht nur die Architektur, sondern auch die Vorgeschichte dieses Konsumtempels. Um den Neubau zu realisieren, wurde schon Ende 2004 das alte Volkshaus abgerissen. Dieses gab als eines der letzten Bauten Zeugnis von der langen Tradition des hiesigen Industrieproletariats, welches die Stadt in den vergangenen 150 Jahren stark mitgeprägt hat.

Zum Tanz gegen Nulltoleranz wurde mit dem Titel „StandortFUCKtor“ mobilisiert. Obwohl bereits darin der politische Gehalt herauszulesen ist, wurde von den Medien und Politikern deren Motiv heruntergespielt, indem meist von „Jugendlichen“ und von „Freiräumen“ die Rede war. Und auch die JUSO Winterthur hat ihren Part in diesem Spiel. Ihr Präsident spielt sich vor den Medien als Sprachrohr ebendieser sogenannten „Jugendlichen“ auf und auch an dieser – natürlich von der Stadt bewilligten – Platzdemo stehen Forderungen nach „Freiräumen“ und bewilligungsfreien Jugendveranstaltungen im Zentrum. Diese Anliegen sind zwar nett und lassen sich auch den Medien gut verkaufen, gehen aber am eigentlichen Problem der Stadtentwicklung vorbei. Dass auch die weit radikalere Kritik der Tanzdemo mehrheitsfähig ist, wurde bereits am Tag darauf deutlich. Entgegen den Empfehlungen der grossen Parteien von SVP bis SP hat die Winterthurer Stimmbevölkerung den Verkauf des Zeughausareals abgelehnt und damit dem Luxusprojekt mit Wohnungen im oberen Preissegment und einer weiteren „Aufwertung“ einen Riegel vorgeschoben. Der Mittelstand in Winterthur beklagt sich zunehmend darüber, dass man auf dem Stadtgebiet keine bezahlbaren Wohnungen mehr findet. Die Stimmung ist angespannt, und davor fürchtet sich die Stadt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Eskalations­ und Nulltoleranz­Strategie vom Samstagabend erklären. Sie war politisches Kalkül. Die Möglichkeit, die Kritik zur Stadtentwicklung in Winterthur an viele Menschen heranzutragen, sollte im Keim erstickt werden. Und mittels Diffamierung von angeblich gewaltbereiten Vermummten im Unterschied von friedliebenden jugendlichen Partygängern sollte eine sich formierende neue politische Bewegung gespalten werden.

Doch die Politiker tun sich schwer damit, den Polizeieinsatz zu rechtfertigen. Das beschlagnahmte Material ist harmlos und das Auffälligste – ein paar Werkzeuge ­ stammen aus einem der Sound­Fahrzeuge, welches einer Gärtnerei gehört. Das Märchen von den gewaltbereiten Demonstranten kauften dieses Mal selbst die bürgerlichen Medien nur zum Teil ab. Die städtische Sicherheitsvorsteherin Barbara Günthard­Maier bemühte sich redlich, den massiven Polizeieinsatz zu rechtfertigen. Doch die Rechtfertigungsstrategie der ehemaligen selbstständigen Kommunikationsberaterin ist allzu durchsichtig: Weder konnte sie belegen, wo die angeblichen „Aufrufe zur Gewalt“ im Vorfeld der Tanzdemo zu finden waren, noch war die Geschichte des Polizisten, dessen Gehör gemäss Günthard bei der Veranstaltung dauerhaft geschädigt wurde, sehr glaubhaft. Während üblicherweise jedes von Polizisten bei einer Demo erlittene Wehwechen larmoyant bei den nachfolgenden Pressekonferenzen zelebriert wird, zauberte die Politikerin dieses Opfer erst mehr als eine Woche aus dem Hut – und dies just anlässlich eines Interviews, zu der sie wegen eines tatsächlich gravierenden Vorfalls an der Veranstaltung Stellung nehmen musste, bei dem einer jungen Frau aus wenigen Metern Distanz Gummischrott ins Auge gefeuert wurde. Liebe Frau Günthard­Maier, uns ist es scheissegal, welche Lügenmärchen Sie auftischen – ist ja nicht so, dass wir uns das von den Politikerinnen und Politikern nicht gewohnt sind. Doch was wird wohl Ihr evangelikaler Gott dazu sagen?

Wie wollen keinen Dialog mit der Regierung. Denn diese kann in ihrer Funktion nicht aus der kapitalistischen Logik ausbrechen und ist weiterhin gehalten, die Stadt als Unternehmen zu führen. Gegen Aufwertung können wir nur abwerten! Seid kreativ und lasst euch nicht erwischen! Denn wir sind die Stadt! Gestalten wir sie selber!

Wir wollen keine Freiräume, wir wollen die ganze Stadt!

Libertäre Aktion Winterthur, Oktober 2013 | www.libertaere­aktion.ch

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